Saturnalien
Saturnalien
Die Hölle ist woanders
Von der beharrlichen Verdichtung legaler Suchtmittel führt der Weg direkt in den sakralen Raum. Mit dieser These tritt der Künstler Roland Adlassnigg an, um der Genusssucht der westlichen Hemisphäre einen Alter zu errichten.
Die Sucht ist die Sehnsucht nach Gott, und sie muss unweigerlich zu Ihm führen. Wir wissen es, sobald wir aus dem Dunstkreis des Denkens treten und uns der kollektiven Kontrolle entziehen. So viele Anhänger können sich nicht irren, sie stehen vor der Pforte Gottes, ihr Ticket ist jede auf dem Index stehende Frucht und jedes Destillat aus den Giftküchen der Unterwelt. Aber auch die legalen Substanzen schaffen in ihrer absoluten Verdichtung einen Altar, sagt Roland Adlassnigg. Dahinter wartet Gott. Und die enthemmten Triebe und Süchte. Und 19 Jungfrauen, Blut und Rausch. Vielleicht sogar ein wenig Sprengstoff, sicher aber alles zwischen Wahnsinn und Glück und ganz am Ende vielleicht die Liebe.
Die Alchemie der radikalen Verdichtung lässt sich also, laut Adlassnigg, mit Kaffee ebenso vollziehen wie mit Zigaretten oder Alkohol. Jede der drei Spuren führt am Ende zu der Installation, die alles, was bei ihr eintrifft, in eine Wechselwirkung bringt. Auch den Besucher und die Besucherin. Wie stark dieser Sog die Persönlichkeit verändert, hängt von eben dieser ab – von ihrer Offenheit, ihrer Triebhaftigkeit und auch von ihrer Unerschrockenheit. Der Mysterienkult wird in der Triple-Espresso-Maschine, zur Essenz gekocht (die Maschine kocht Kaffee mit Kaffee und wieder mit Kaffee, am Ende steht das schwarze Gold, das den Herzrhythmus bis an seine Grenze stimuliert). Im Seitenaltar werden Zigaretten durch den Schnaps inhaliert, oder Kaffee mit Schnaps gekocht, oder andere Ungeheuerlichkeiten, die vom Brandschutz verboten werden. Die explosive Mischung bietet zumindest gedanklich die Möglichkeit, seinen Körper mit einem Schluck ein für allemal zu verlassen und sich für immer ins Jenseits zurückzuziehen – in Erwartung ewiger Ekstase oder Verdammnis. Mit oder ohne Drogen, ein Kniefall vor dem Alter ist in jedem Fall angebracht, dafür sorgen die anwesenden Hohepriester, die nicht nur ihre Arbeit beherrschen. Vor der Übermacht des verdichteten Geistes zeigt man sich tunlichst demütig und beginnt zu beten, zu jammern, oder zu schwärmen. Vorsichtshalber. Auf den Knien lässt sich auch der hochprozentige Geist besser inhalieren, und was immer man danach tut, kulinarisch wird man im sakralen Raum dieser neumodischen Saturnalien bestens versorgt. Die Hohepriester verstehen ihr Handwerk. Und weil wir alle am Leben hängen, zumindest in der Praxis, sind die Opfer überschaubar, der Besuch dieser Ausstellung entspricht mehr oder weniger den Brandschutzbestimmungen, am Geist wird ordentlich genippt und das Blut stammt von Schweinen, die längst in der echten Hölle unserer industrialisierten Tötung verarbeitet wurden.
Daniela Egger
Donnerstag, 17. Dezember 2015